Brian Moser
Heinz Drossel - ein Held?
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Urlaub vom Krieg: Rettung von Juden in Berlin
„Es gibt etwas im Menschen, das ihn angesichts der Not anderer zum Handeln zwingt. Wenn ihr einen Spaziergang macht und vor euch fällt ein zweijähriges Kind ins Wasser, könnt ihr dann überlegen? Entweder ihr springt, oder ihr springt nicht.“ (Heinz Drossel im Gespräch mit Arno Lustiger)
Heinz Drossel war von 1939-1945 wider Willen im Krieg.
Während eines Heimurlaubs 1942 machte er eine Begegnung, die sein ganzes Leben verändern sollte. Es war der zweitletzte Tag vor seiner Abreise. Noch einen letzten Spaziergang durch Berlin.- Abschied nehmen. Wie lange wird es dauern, bis er Berlin und seine Familie wieder sehen kann?
Er wählte die Jungfernbrücke um den Seitenarm der Spree zu verlassen. Sie war die einzige Zugbrücke in ganz Berlin. Es dämmerte. Gegen halb zehn Uhr abends war er an der Brücke angekommen. Als er sie überqueren wollte, bemerkte er eine Person, die sich über das Geländer der Brücke lehnte und offensichtlich über das Geländer ins Wasser springen wollte.
Er fragte sie, ob mit ihr alles in Ordnung sei. Keine Antwort. Er trat näher, berührte sie an der Schulter und drehte sie etwas zu sich. Es war eine Frau, die er Jahre zuvor schon einmal gesehen und kurz mit ihr gesprochen hatte. Ein kleiner Junge, ihr Sohn, hatte ihm damals einen schönen Stein geschenkt..
Als er sie fragte, ob sie Jüdin sei, nickte sie nur.
Später erzählte sie ihm, dass sie vor kurzem eine Tochter geboren habe, sie diese aber habe weggeben müssen, und dass ihr Sohn in der Obhut von Pastor Grüber sei, der sich um Kinder von Verfolgten kümmere.
Sie war verzweifelt und mutlos.
Heinz Drossel nahm die Frau mit sich und gab ihr sein ganzes Geld, das er noch auf der Bank hatte. Sie würde es brauchen.
Später berichtete sein Freund Poldi ihm, dass die Frau mit gefälschten Pässen Deutschland verlassen werde.
Am 4. Mai 1946 heiratete Heinz Drossel „Die Frau von der Jungfernbrücke“.
1944/45: Fronturlaub. Heinz Drossel nutzt die Gelegenheit um seine Familie zu besuchen. Zurück bei seinen Eltern. Das Haus der Drossels gehörte zu einer Laubensiedlung in Senzig (20km von Berlin entfernt).
Am zweiten Abend nach seiner Ankunft hatten sie Besuch von der Familie „Hesse“, die gekommen war, um gemeinsam mit den Drossels die Nachrichten des Radiosender London-BBC zu hören, da sie selber kein eigenes Radio besaßen (Etwas anderes wäre für den Vater Heinz Drossels nicht in Frage gekommen).
Alles drehte sich nur noch um die eine Frage:
„Wann ist der Krieg endlich zu Ende ?“
Auch Heinz Drossel hoffte, dass das Kriegsende bald eintreten werde.
Er wollte all das Leid an der Front nicht mehr mit ansehen. Doch obwohl der Krieg für Deutschland schon verloren war, schien das Ende nicht näher zu rücken. Ein verständnisvoller Arzt, der sich im Urlaub befindende Soldaten medizinisch betreute, schrieb ihn glücklicherweise für weitere 2 Wochen krank.
Zwei Tage später kamen die „Hesses“ wieder zu Besuch. Neben ihrer bildschönen, schwarzhaarigen Tochter Margot war auch ein Mann namens Günter Fontheim dabei. Hier würde er bald mit einer ungewöhnlichen Situation konfrontiert werden. Die Stimmung war sehr gedrückt. Als sie fertig gegessen hatten, und sich gerade verabschiedeten, rief Herr Hesse Heinz Drossel zu sich und bat ihn noch für einen Moment mitzukommen. Die Unterkunft der Hesses lag keine 200 Meter vom Wohnsitz der Drossels entfernt. Nach einer längeren Zeit des Schweigens erklärte Herr Hesse Heinz Drossel am Gartentisch sitzend, dass sie Juden und verraten worden seien, da sie hier „illegal“ lebten. Es sei nur noch eine Frage der Zeit bis die Gestapo sie ergreifen würde. Ohne zu zögern, traf Heinz Drossel den Entschluss, ihnen zu helfen, und lief schnell zum Haus der Eltern zurück, um sich mit ihnen zu beraten. Doch trotz aller Eile war Heinz Drossels Plan schlau und gut durchdacht. Er gab der Familie die Schlüssel für seine Wohnung in Berlin-Tempelhof und riet ihnen, so schnell wie möglich mit dem nächsten Bus Senzig zu verlassen. Er selbst würde erst einmal hier bleiben und gegen Nachmittag nachkommen. Zum Schutz der Familie gab er ihnen nach einer kurzen Einweisung seine Dienstwaffe mit, die sie im Ernstfall (Eintreffen der Gestapo), ohne Hemmung benutzen sollten. Eine Kiste voller Daten, jüdischer Pässe etc. musste zurückgelassen werden. Nachts zog Heinz Drossel heimlich los, holte die Kiste aus dem Nachbarhaus und vergrub sie auf dem Grundstück seiner Eltern. Am nächsten Morgen verließ Familie „Hesse“ Senzig. Eine Stunde später traf die Gestapo ein. Sie stiegen aus ihren schwarzen Wägen, durchsuchten die Wohnung, fanden nichts und verschwanden genauso unscheinbar, wie sie gekommen waren. Heinz Drossel, der sich an diesem Tag in seinem Garten aufhielt, bekam all dies mit. Doch bevor er nach Berlin nachkam, musste er erst alle Spuren der „Hesses“ verwischen. Diese hatten oft das öffentliche Telefon benutzt um mit anderen, „illegal“ in Deutschland lebenden Juden zu sprechen.
Damals musste man, sobald man einen Anruf getätigt hatte, seinen Namen und die Telefonnummer in ein Buch eintragen.
Wäre die Gestapo an diese Unterlagen gekommen, wären nicht nur die „Hesses“ in noch größerer Gefahr gewesen, sondern viele Juden verhaftet und/oder sogar getötet worden. Heinz Drossel ging also am nächsten Tag in seiner Offiziersuniform zu diesem Telefon, unter dem Vorwand selbst ein Gespräch tätigen zu müssen.
Mit einer List schaffte er es, kurz allein zu sein, und entwendete die Kladde. Es war seiner Uniform zu verdanken, dass gegen ihn kein Verdacht geschöpft wurde.
Zurück zu Hause verbrannte er die Kladde, so dass auf diesem Wege keiner „seine“ Flüchtlinge entdecken konnte. Sobald dies getan war, reiste er nach Berlin in seine Wohnung, wo er die „Hesses“ und Herrn Fontheim wiedertraf.
Die Familie „Hesse“ blieb noch ein paar Tage in der Wohnung in Berlin-Tempelhof, bis sich für sie eine andere Möglichkeit zum Untertauchen bot.
(Gartenlaube von Frieda Kunze (1943/45)).
Günter Fontheim lebte bis Kriegsende in der Wohnung Heinz Drossels.
Um die Aufmerksamkeit des Wohnungsnachbarn nicht allzu sehr zu strapazieren, erzählte Heinz Drossel ihm, Herr Fontheim sei ein Deserteur. Der Kommunist sah Fontheims Not und versprach, auf ihn aufzupassen. Dass Ernest Günter Fontheim Jude war verschwieg Drossel ihm.
Familie Hesse überlebte den Krieg ebenso wie Herr Fontheim, Später heiratete dieser die Tochter Margot. Nach dem Krieg wanderten Geretteten in die USA aus, wohin ihnen Heinz Drossel und seine Frau folgen wollten. Heinz Drossel erkrankte aber schwer, so dass sich diese Pläne leider zerschlugen. Ernest Günter Fontheim hatte seine ganze Familie, Vater, Mutter und Schwester im Holocaust verloren, er hatte mit ansehen müssen, wie sie von der Geatapo abgeholt wurden. Heute lebt er mit seiner Frau und zahlreichen Kindern und Enkelkindern in An Arbor. Jährlich besuchte er seinen Retter und er hielt eine ergreifende Rede anlässlich der Trauerfeier nach dem Tod von Heinz Drossel im Geschwister-Scholl-Gymnasium..
„In seiner Beschreibung ... erwähnt Heinz Drossel nicht mit einem Wort, welches Risiko er und seine Eltern mit unserer Rettung eingingen. Ich kann heute ohne Einschränkung sagen, dass die selbstlose Hilfsbereitschaft der Familie Drossel für mich eine der freudigsten Anblicke in den sonst schwarzen Jahren des Untergrundlebens waren.“
(Ernest Günter Fontheim)
Nun wurde es eng für Heinz Drossel. Seine letzte Krankschreibung war seit mehr als einer Woche überzogen. Außerdem hatte er keine gültigen Marschpapiere mehr.
Um einer Verhaftung in Berlin zu entgehen, zog er mit dem Zug nach Olmütz, dem Krieg entgegen. Er dachte, wer Richtung Front zieht, würde nicht nach irgendwelchen Papieren gefragt werden. Und seine List ging auf. Mit Hilfe der Tschechen, die der SS ein Schnippchen schlagen wollten, entging er der Zugkontrolle.
Die Zeit verging und Heinz Drossel nutzte die Zeit, die sie in alten Kasernen verbrachten, zum schreiben.
Er musst am 20.4.1945 die Rede zum –letzten- Geburtstag Hitlers halten.
„Männer ! Heute, an dem Tag, an dem der Mann geboren ist, dem ihr alle diese Schinderei, die Angst und Not zu verdanken habt, heißt es für jeden von euch, unbeirrt seine Pflicht zu erfüllen. Und diese Pflicht ist die eurer Familie... gegenüber.
Die Pflicht, am Leben zu bleiben und gesund zu ihnen zurückzukehren...“
(Heinz Drossel)
Heinz Drossel forderte die Männer zur Desertion auf.
Wenige Zeit später wurde Heinz Drossel Zeuge eines menschenunwürdigen Geschehnisses. Als sie eines Morgens in der Kaserne angekommen waren, führte ihn ein Offizier zu einem Fenster. Unten im Vorgarten sah man 2 Männer, die ununterbrochen an einer Grube schaufelten. Hinter ihnen standen weitere zwei Männer, beide in Grau. SS.
Auf die Frage, was diese denn tun würden, erklärte ihm der Offizier beunruhigt, dass diese Herren sich ihr eigenes Grab gruben. Die Frage nach den Verbrechen, die diese Zwei begangen haben sollten, blieb unbeantwortet.
Schnell liefen sie hinunter in den Hof doch zu spät. Zwei Schüsse fielen. Beide Männer taumelten hin und her und fielen in ihr selbst geschaufeltes Grab.
Wenige Zeit später bekam Heinz Drossel den Befehl, seine Männer zu einem letzten Gefecht zu treiben. Doch dies wäre purer Selbstmord gewesen.
Als er sich weigerte, wurde er zum Tode verurteilt, doch die bedingungslose Kapitulation Deutschlands rettete ihm das Leben.
Noch in der Gefangenschaft wütete der Naziterror. Heinz Drossel und ein Kamerad waren zusammen mit SS-Offizieren in einem Gefangenenlager der Russen. Unverholen äußerte er, wie sehr es ihn freue, dass die verbrecherische NS-Herrschaft zu Ende sei. Dies wurde ihm fast zum Verhängnis. Zum Glück aber hatte sein Kamerad von den Mordabsichten Wind bekommen. Er warnte Heinz Drossel. Dieser informierte umgehend den russischen Lagerkommandanten. Die Untat wurde verhindert und Heinz Drossel und sein Freund wurden in Ehren entlassen. Die SS-Männer kamen in die Gefangenschaft nach Sibirien.
„Zivilcourage“ ist ein Wort, das man heute so einfach sagt, in einer Zeit, in der Deserteure mit der Aufschrift „Ich bin ein Feigling“ an Straßenlaternen aufgehängt wurden, konnte sie in den Tod führen.
Heinz Drossel erhielt für seine selbstlose Rettung der Juden das Bundesverdienstkreuz und Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“.
Die höchste Auszeichnung, die der jüdische Staat an Nichtjuden Vergibt.
Quellen
Bücher:
- Die Zeit der Füchse (Heinz Drossel)
- Retter in Uniform (Wolfram Wette)
Filme:
- Heinz Drossel – Ein Mensch in schrecklicher Zeit
Internet:
- Schulhomepage (www.gymnasium-waldkirch.de)
- www.swr.de (u.a. Audiokommentar Herr Fontheim)