Felix Steuerer
Heinz Drossel – Nachkriegszeit
Für Heinz Drossel, den Retter in Uniform, der Zivilcourage zeigte, brach nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keine Zeit der Anerkennung an. In einer Gesellschaft, in der viele noch ihre Haltung und Gesinnung aus der NS-Zeit bewahrten und gut hießen, wurde der Begriff „Held“ mit „Kriegsheld“ gleichgesetzt und das war Heinz Drossel nicht und wollte er nie sein. So begann für ihn eine Zeit des Schweigens.
Heinz Drossel beendete seine juristische Ausbildung und wurde schließlich Richter; nicht an einem Zivil- oder Strafgericht, wie ursprünglich geplant, sondern an einem Sozialgericht. Beschämend bei den Umständen, wie es dazu kam, war folgender Sachverhalt: Auf seine Bewerbung hin, bekam Heinz Drossel eine freundliche Absage, obwohl er als Bester das Referendariat beendet hatte. Tage später traf er einen ehemaligen Mitreferendar, der überrascht auf Heinz Drossels Frage, wie er denn mit der Arbeitslosigkeit umginge, antwortete, er habe doch eine Stelle bekommen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Zumal die Justiz in der frühen Bundesrepublik vor ehemaligen NS-Blut-und-Boden-Richtern wimmelte.
Später kam er dann in die Sozialgerichtsbarkeit. In dieser Position musste er bald feststellen, dass ehemalige hohe Mitglieder der NSDAP trotz allem in der Gesellschaft akzeptiert, oder zumindest geduldet wurden und sogar hohe Ämter und Positionen innehatten. Heinz Drossel wollte es beispielsweise nicht einfach hinnehmen, dass ein sogenannter „Goldfasan“, ein NS-Parteimitglied schon vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, dass eine solche Person zum Sozialgerichtspräsidenten, zu seinem Vorgesetzten ernannt werden sollte. Er traf mit seiner Empörung darüber jedoch nicht auf Zustimmung, sondern auf Unverständnis. Der Berliner Justizsenator bot ihm zwar eine hohe Stellung in einem anderen Bereich an, aber er lehnte dies ab und bewarb sich um einen schlechter dotierten Posten in Baden Württemberg. Er bekam diesen und die Familie, inzwischen war die gemeinsame Tochter Ruth geboren, übersiedelte zunächst nach Stuttgart, später dann nach Konstanz und schließlich nach Freiburg, wo Heinz Drossel Präsident des Sozialgerichts wurde.
Die Erfahrungen in Berlin bestätigten seine Befürchtungen, dass sein, nach heutigen Maßstäben vorbildhaftes Verhalten, auf Ablehnung stößt. Deshalb lebte er lange Jahre sehr zurückgezogen, ja beinahe isoliert mit seiner Familie, zumal seine Frau durch die traumatischen Erfahrungen der Verfolgung und er wegen der Ignoranz seiner Umgebung nur wenige deutsche Freunde hatten.
Vierzig Jahre sollte es schließlich dauern, bis er sein Schweigen brach. In diesen Jahren hatte sich die Gesellschaft langsam, aber insgesamt deutlich verändert und damit auch die Art der Heldenbilder. Diese neue Gesellschaft brauchte zivile Helden, die als Leitfiguren dienen konnten. Die Demokratisierung und auch das Heranwachsen der Nachkriegsgenerationen, die zivilen Heldenbildern weitaus offener gegenüberstanden, führten dazu, dass in den 80er Jahren nicht mehr nur die Beschäftigung mit den Widerstandshelden des 20. Juli 1944 unterstützt wurde, sondern auch die Beschäftigung mit zivilen Formen des Widerstands gefördert wurden.
Die offizielle Anerkennung von Rettern in Uniform, also Soldaten, die Widerstand leisteten, indem sie gegen Befehle handelten und Verfolgten halfen, erfolgte jedoch erst Mitte der 90er. Von Seiten der Politik wurde am 15. Mai 1997 eine Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure, Kriegsdienstverweigerer und Widerstand leistender Soldaten beschlossen. Die späte Würdigung von Seiten der Öffentlichkeit war auch darin begründet, dass ehemaligen Wehrmachtssoldaten von Menschen wie Heinz Drossel ein mögliches vorbildhaftes alternatives Verhalten aufgezeigt wurde. Für die Mehrheit der Deutschen, die das NS-Regime unterstützten oder akzeptierten, war das eine sicherlich unangenehme Wahrheit.
Als Held sah sich Heinz Drossel selbst jedoch zu keinem Zeitpunkt. Nach dem Ende seiner Berufslaufbahn, während derer er schließlich zum Sozialgerichtspräsidenten in Freiburg wurde erschien 1988 seine Autobiografie „Die Zeit der Füchse“, in der er zwar von seinen schrecklichen Erlebnissen während des Krieges berichtet, sich jedoch nie als Retter beschreibt. Deutlich werden seine Leistungen erst durch das von Ernest Günter Fontheim geschriebene Vorwort, in dem er über seine Rettung durch Heinz Drossel spricht.
"Ich kann heute ohne jede Einschränkung sagen, dass die selbstlose Hilfsbereitschaft der Familie Drossel für mich der freudigste Anblick in den sonst schwarzen Jahren des Untergrundlebens war und zwar nicht nur deshalb, weil... *ERGÄNZEN!*
Während das Interesse der Öffentlichkeit wuchs, verbrachte Heinz Drossel viel Zeit an verschiedenen Bildungseinrichtungen und sprach vor tausenden jungen Leuten. Für sie war er ein authentischer Zeitzeuge und zugleich ein wichtiges Vorbild.