Leonid Sokolov
Von Heinz Drossel habe ich zwei Bilder im Kopf: das eines jungen Berliner Studenten, eine Schwarzweißfotografie in leichtem Profil, gerader Blick, gescheitelte Haare, und das des alten Herren, den ich kannte. Gemeinsam haben beide Ihren aufrechten Gang. Und vom „Aufrechten“ zum „Gerechten“ ist es nicht weit.
Als ich Ihn kennen lernte war Heinz Drossel schon über achtzig Jahre alt, faltig, mit buschigen Augenbrauen und schütterem weißen Haar, das er auf Spaziergängen unter einer Baskenmütze versteckte. Es war im Laufe eines Filmprojekts der Geschichts-AG, wir drehten einen Film über seine Rettungstaten im Nationalsozialismus, dass wir uns näher kamen. Nie hatte ich das Gefühl mit einem Helden zu reisen, ein Held war damals so jemand wie Günter Grass. Heinz Drossel half Schülern bei einem Film, und es freute Ihn, dass er helfen konnte. Dass er der Hauptdarsteller war, hatte sich so ergeben. In einer anderen Position wäre er sicher ebenso gut gewesen.
Heinz Dossel war für mich kein Held sondern ein Ehrenmann. Das Wort mag antiquiert klingen, und gefährlich, wenn man von einem Mann spricht der das Erwachsenenalter in der Zeit der Nationalsozialistischen Herrschaft erreicht. Dennoch: Als die Zeitungen voll waren vom hohlen Pathos, von Ehre und Volk, ist dieser Mann integer geblieben und hat selbst entschieden, wem er Respekt zollt und wem nicht. Wenn er Menschen rettete, so schien ihm dies eine Selbstverständlichkeit. Er tat es nicht als Held, sondern als jemand, dessen eigene Würde es nicht zuließ es nicht zu tun.
Jemand wie Heinz Drossel hielt den Menschen den Spiegel vor, auf die effektivste Weise: durch sein Handeln. Dadurch, dass er sich nie zum Helden stilisierte, machte er es den Mitläufern unmöglich zu sagen „das war ein Held. Es kann nicht jeder ein Held sein“. Diese, für Ihn selbstverständliche, Autonomie empfanden viele seiner Kollegen in der frühen Bundesrepublik als Provokation. Er hat mir oft erzählt, dass Sie es Ihm übel genommen hatten und Ihm Steine in den Weg warfen.
Für mich bleibt dieser Mann, auch über seinen Tod hinaus, ein Vorbild, weil seine Haltung der persönliche Autonomie, die er bis an sein Lebensende bewahrte, zwar viel Kraft erfordert, von dieser Haltung jedoch jeder Einzelne und die Gesellschaft profitiert. Die „Erziehung zur Freiheit“ die Johannes R. Becher den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg einimpfen wollte (die DDR pervertierte bekanntermaßen das Konzept), hatte er nicht nötig. Zur Freiheit, so zeigt uns das Leben von Heinz Drossel, muss sich jeder selbst erziehen, und: jeder hat die Möglichkeit dazu.
Berlin, Januar 2009