Katharina Stegelmann
Es war ein heißer Augusttag als ich Heinz Droßel 2003 zum ersten Mal traf. Bei den Recherchen für das SPIEGEL-Buch „Die Gegenwart der Vergangenheit – Der lange Schatten des Dritten Reichs“ (Deutsche Verlagsanstalt, München 2004) war ich auf seinen Namen gestoßen. Mein Auftrag war, einen Beitrag für das Kapitel „Stille Helden“ zu schreiben. Die Kontaktaufnahme war unkompliziert. Wir verabredeten uns, ich flog nach Basel, setzte mich in einen Mietwagen, fuhr durch den schönen Schwarzwald, klingelte an einer lila-gestrichenen Haustür in Simonswald und wurde von einem zierlichen Herrn mit sehr blauen Augen freundlich empfangen. An diesem Tag begann ein Dialog, der Jahre andauern sollte. Der Platz im Buch war viel zu knapp bemessen. Es gab so viel zu berichten, zu lernen und zu erforschen, was das Leben dieses Mannes betraf. So viel, was erzählt werden sollte, damit noch mehr Menschen davon erfahren. Ich durfte Heinz’ Familie kennen lernen, seine Freunde, deren Familien, andere Menschen, die aus beruflichen Gründen mit ihm in Kontakt standen. Eine neue Welt öffnete sich mir, mein Horizont erweiterte sich. Auf seinen Vorträgen in Schulen hat Heinz oft erzählt, dass ihm die Tragweite seines Handelns im Januar 1945 im Grunde erst voll bewusst wurde, als er Jahrzehnte später die erwachsene Tochter seines Freundes Günter Ernest Fontheim zum ersten Mal umarmte. Denn wenn Heinz damals Fontheim und den anderen nicht geholfen hätte, wäre diese wunderbare Frau aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geboren worden. Auch ihr Bruder und dessen Kinder sind auf diese Weise mit Heinz verbunden. „Wenn du einen einzigen Menschen rettest, rettest du eine ganze Welt“. Die Bedeutung dieses Satzes, der aus dem Talmud stammt, hat sich mir erst durch meine Begegnung mit Heinz Droßel wirklich erschlossen. War er ein „Held“? Er selbst wollte sich nicht so nennen. Er hat sich sehr bemüht, sich menschlich zu verhalten. Und das ist ihm gelungen.