Rubrik 4
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Beiträge von Freunden & Wegbegleitern

Ernest Günter Fontheim

HEINZ DROSSEL

. . . rettete das Leben eines sowjetischen Kommissars um Mitte Juli 1941, indem er ihn laufen ließ, anstatt ihn befehlsgemäß zur Erschießung an die hierfür zuständige Einheit auszuliefern. (Heinz Droßel, Die Zeit der Füchse, Lebenserinnerungen aus dunkler Zeit, Waldkircher Verlag 2001, S. 125,126) Droßel wusste, dass die befohlene Erschießung sowohl eine Verletzung des internationalen Rechts als auch als Mord an einem wehrlosen Menschen eine Sünde im biblischen Sinn war. Er wusste aber auch, dass seine Handlung eine Verletzung des ihm gegebenen Befehls war, wofür er militärrechtlich zur Verantwortung gezogen werden konnte und mit hoher Wahrscheinlichkeit die Todesstrafe erwarten konnte.

. . . rettete mich, meine damalige Freundin (jetzige Ehefrau) und deren Eltern im März 1945 vor der Verhaftung durch die Gestapo. Wir vier sind Juden und lebten seit Januar 1943 “illegal” (d.h. mit gefälschten Papieren als “Arier”) in dem Dorf Senzig in der Mark Brandenburg, um der Verschleppung nach Auschwitz und der dortigen Ermordung zu entgehen. Im März 1945 erfuhren wir zufällig, dass einer der Dorfbewohner, ein im Ort bekannter fanatischer Nazi, uns verdächtigte, Juden zu sein, und bereits bei der Polizei Anzeige erstattet habe. Wir musten daher mit einer baldigen Verhaftung rechnen. Droßels Eltern lebten damals im Ruhestand in demselben Dorf, und Droßel selbst (zu jener Zeit Oberleutnant) war gerade nach einer Kriegsverwundung auf Genesungsurlaub bei seinen Eltern. Nachdem wir den drei Droßels über unsere gefährdete Situation berichtet hatten, versorgten sie uns mit Lebensmitteln und versteckten einige unserer Koffer mit wichtigen Kleidungsstücken und Dokumenten auf ihrem Grundstück, und Heinz Droßel stellte uns sein möbliertes Zimmer in Berlin-Tempelhof zur Verfügung, in dem ich bis zum 22. April 1945 Zuflucht fand. Außerdem stellte uns Droßel für die letzte Nacht in Senzig seine Dienstpistole zur Verfügung mit dem ausdrücklichen Hinweis, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, wenn die “Schweine” (Droßel benutzte diese Bezeichnung, wie ich mich noch heute genau erinnere) etwa in jener Nacht noch zu unserer Verhaftung erscheinen sollten. Die letzten Kriegstage vom 22. April ab verbrachte ich mit meinen Freunden in Potsdam. Droßels Handlung war von seiner auf tiefer Religiosität beruhenden Menschlichkeit bestimmt. Er wusste aber auch, dass die Hilfe, die er uns leistete, sowohl Naziverordnungen des Bürgerlichen Strafrechts als auch des Militär-Strafrechts verletzte und er im Falle der Aufdeckung von einem Kriegsgericht wahrscheinlich zum Tode verurteilt worden wäre.

In beiden hier beschriebenen Fällen war Drosßels Handeln von seinem Glauben an die Menschenwürde bestimmt, die er in seinen Erinnerungen als sein “oberstes Leitbild” bezeichnet (Ebd. S. 122). Droßels Handeln war während seines ganzen Lebens von diesem Leitbild bestimmt, und in fast allen Fällen war sein Kampf für Menschenwürde mit großen Gefahren für ihn verbunden. Aus diesem Grunde ist Heinz Droßel ein wahrer Held – ein Mensch, der den Kampf für die Ideale der Menschlichkeit trotz der damit verbundenen Gefahren durchführt.

Heinz Droßel ist aber auch ein stiller Held. Der Begriff des stillen Helden ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommen, um diejenigen vielen Menschen zu ehren, deren Heldentum darin bestand, dass sie gegen den Strom der öffentlichen Meinung schwammen und daher ihr Heldentum meistens geheim gehalten wurde. Die Tatsache, dass es den Begriff des stillen Helden überhaupt gibt, ist Beweis dafür, wie groß die Zustimmung der deutschen Öffentlichkeit mit den judenfeindlichen Maßnahmen des Nationalsozialismus war. Zum Beispiel ist mir nicht bekannt, dass es unter denen, die in der DDR von Innen aktiv opponierten, irgendjemand als stiller Held bezeichnet wird. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Regierung und besonders die SED so unbeliebt waren, das kein Grund vorlag, ihr Heldentum zu verschweigen. Es ist zu hoffen, dass jetzt nach über einem halben Jahrhundert nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und nach der jetzt allgemein anerkannten Enormität der Naziverbrechen die stillen Helden nicht weiter als still betrachtet werden, sondern als das, was sie wirklich sind – Helden.

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